„Die Schonzeit ist vorbei“
Der Antisemitismus in Deutschland nimmt seit Jahren zu. Feindseligkeit, Hass, menschenverachtende Haltungen und Übergriffe werden häufiger, der jüngste Krieg in Nahost hat die Situation noch weiter verschärft. In diesem Kontext las jetzt die Autorin Juna Grossmann aus ihrem Buch „Schonzeit vorbei” im Forum der Fritz-Winter-Gesamtschule.
Schülerinnen und Schüler der Fritz-Winter-Gesamtschule, des Gymnasiums St. Michael und der Therese-Münsterteicher-Gesamtschule erhielten dabei Einblicke in persönliche Erfahrungen und Beobachtungen einer 1976 in (Ost)Berlin geborenen Frau, die über das Leben mit dem täglichen Antisemitismus berichtet und reflektiert, was es heute bedeutet, als Jüdin in Deutschland zu leben.
Und diese Erfahrungen sind bestürzend: „Seit Jahren erlebe ich Schmähungen, Bedrohungen und Vorverurteilungen. Es sind aber lediglich die körperlichen Angriffe, über die Medien berichten – sofern sie überhaupt berichten. Der ganz normale verbale Antisemitismus im Alltag wird schon gar nicht mehr richtig wahrgenommen, selbst von den Zielpersonen, den Jüdinnen und Juden nicht“, berichtet Juna Grossmann. Sie befürchtet, dass auch die permanenten verbalen Angriffe etwas in der Gesellschaft anrichten würden, nämlich den Weg für gesellschaftliche Umbrüche und körperliche Gewalt zu ebnen. Grossmann: „Sprache ist ein Spiegel und ein Wegweiser in die Zukunft.“
Juna Grossmann, bekannt durch ihren Blog „Irgendwie jüdisch”, hat Sonderpädagogik studiert und arbeitet seit mehreren Jahren in Gedenkstätten und Museen. Sie ist auch als Beraterin für Sozial-Media-Auftritte für Kultureinrichtungen tätig. Im Forum der Fritz-Winter-Gesamtschule war sie auf Einladung der VHS Ahlen.
Bei den Schülerinnen und Schülern hinterließen Grossmanns Erfahrungen in Deutschland sichtlich Eindruck. So wollten einige wissen, ob sie bereits über Auswanderung nachgedacht habe. „Ein Plan B fühlt sich gut an, aber nicht jeder, der jüdisch ist, will nach Israel,“ antwortete Grossmann, die im Alltag natürlich oft damit konfrontiert wird, als Jüdin automatisch für eine „Botschafterin“ Israels und seiner Politik gehalten zu werden, unabhängig von eigenen Ansichten etwa zur aktuellen Regierung. „Ich will aber viel lieber darüber reden, was das Judentum ausmacht.“
Dass in Deutschland auch in der Politik bzw. der Zivilgesellschaft abseits der vielen Nie-Wieder-Reden und Appelle das Thema „Judentum“ insgesamt eher stiefmütterlich behandelt wird, ist auch eine Erfahrung, die die Autorin den Schülerinnen und Schülern mit auf den Weg gab. „Ich muss darum kämpfen, an jüdischen Feiertagen frei zu bekommen. Ich muss es immer wieder erklären. In vielen anderen Ländern ist das klar, in Deutschland nicht!“